Grensing

Business Technology Consulting GmbH

Mama, mein SAP schmeckt mir nicht!

2020-06-12

SAP-Template-Projekte in großen Unternehmen sind oft teure und schwerfällige Vorhaben: mehr oder weniger qualifizierte interne Projektmitglieder treffen auf mehr oder weniger qualifizierte externe Berater und gebären nach langer Zeit und einer Vielzahl mehr oder weniger ritueller Handlungen und monatelangen Tests am Ende ein System, mit dem das Unternehmen dann die nächsten Jahre seine Geschäftsprozesse abwickeln darf und hoffentlich auch kann.

Oftmals erfolgreich. Manchmal erfolgreich, aber später und teurer. Vereinzelt aber auch erfolglos - und dann meistens noch viel später und viel teurer. Der Erfolg eines Unternehmens im Wettbewerb zeigt sich unter anderem darin, wie geschickt es sich dabei anstellt, IT-Landschaft und Unternehmensprozesse zu integrieren. Es ist ein Wettbewerbsvorteil, hier die richtigen Entscheidungen zu treffen und sich die richtigen Partner auszusuchen. Und noch ein Gedanke: vielleicht sind Unternehmensprozesse manchmal doch nicht so wichtig, wie man zunächst denkt. Denn wären sie es, würde man sich mehr darum kümmern.

Problematisch finde ich aber ein anderes Phänomen, das mir in letzter Zeit begegnete:

Das Management eines Unternehmen entscheidet sich dafür, den Umstieg auf S/4-HANA dazu zu nutzen, ein neues SAP-Template auszurollen. In Vorbereitung dazu werden unterschiedliche Unternehmensberatungen eingeladen, Vorstudien oder Projektangebote zu machen. In den Workshops dazu sitzen dann Vertreter von Fachabteilungen, die einen Punkt mehr oder weniger unter der Hand kommunizieren: "Eigentlich wollen wir kein SAP mehr!"

Die eindeutige Botschaft der Unternehmensführung in Verbindung mit solchen Aussagen der Fachabteilungen führen auf Beraterseite logischerweise zu Konflikten. Ein leider sehr verbreiteter Weg damit umzugehen besteht darin, sie zu ignorieren. "Change Management ist wichtig!" Das beauftragte Beratungsunternehmen hat im Projekt selbstverständlich einen in Theorie und Methodik perfekt ausgebildeten "Change Manager", dessen tatsächliche Aufgaben sich in der Praxis aber doch immer wieder darin erschöpfen, Kaffeetassen mit Projektlogo zu beschaffen und ein Diversity-Statement zu verfassen. So endet solch ein Projekt mit mangelnder Akzeptanz, unzureichenden Unternehmensprozessen und stockende Rollouts mit einem halbgaren Template, das nach dem unvermeidlichen Wechsel des CIOs sowieso ignoriert wird.

Viel Geld für nichts. Viel Frustration, Reibungsaufwand und Ärger.

Erkennt man die Situation frühzeitig, gibt es nach meiner Erfahrung drei mögliche Auswege:

  1. Eigentlich könnte es passen - es hat nur noch niemand so gemacht. SAP-Lösungen sind komplex: sie verfügen über eine Vielzahl von Modulen und Konfigurationsmöglichkeiten, mit denen Prozesse eben auch anders ablaufen können - wenn man weiß, wie. Dazu braucht es Erfahrung und die notwendige Zeit: doch die sollten in Großprojekten eigentlich verfügbar sein. Noch besser ist es jedoch, wenn man vorher weiß, wohin die Reise geht: ein kleines Vorprojekt mit erfahrenen Leuten, die den möglichen Funktionsumfang kennen und Alternativen anbieten können!

  2. Es passt nicht, kann aber passend gemacht werden: es gibt viele Geschäftsanforderungen, die entscheidend für den Unternehmenserfolg sind, aber nicht so zur Standardfunktionalität passen, wie sie in den SAP-Lösungen angeboten wird. Da kann es sinnvoll sein, die zahlreichen Erweiterungsmöglichkeiten zu nutzen. Richtig umgesetzt bedeutet das oftmals nicht einmal allzu großen Aufwand. Aber: diese Erweiterungen werden auf Dauer Teil der eigenen Lösung sein. Sie müssen langfristig gepflegt, ergänzt und gewartet werden. Dazu braucht man langfristig eine interne oder externe Organisation, die das übernimmt. Das ist teuer, das ist Aufwand und es erfordert ein langfristiges Committment, eben nicht nur im Standard unterwegs zu sein. Das kann es aber wert sein.

  3. Es passt wirklich nicht: machen wir uns nichts vor, es gibt Geschäftsmodelle, deren Umsetzung mit SAP absolut nicht sinnvoll möglich sind. Also müssen Drittanwendungen identifiziert, konzipiert und erstellt oder beschafft werden. Vor allem aber: sie müssen integriert werden. Auch das führt gerne zu Problemen, insbesondere wenn nur Teilfunktionalitäten betroffen sind, da SAP an dieser Stelle vielleicht überhaupt keine Schnittstelle vorgesehen hat. Also besteht die Herausforderung darin, in einer übergreifenden Architektur die Systemgrenzen unter Umständen großzügiger zu definieren, als man es eigentlich erwarten würde. Beispielsweise kann es sinnvoll sein, die gesamte Abwicklung von Kundenaufträgen außerhalb von SAP durchzuführen, wenn das im Geschäftsmodell erforderliche Systemverhalten dem (neutral gesehen doch etwas speziellen) Standardverhalten von Kundenaufträgen widerspricht. Spätestens das ist jedoch der Zeitpunkt, wo man sich vom zeremoniellen SAP-Template-Projektgedanken verabschieden sollte: hochindividuelle wettbewerbsrelevante Anforderungen benötigen zunächst eine nachgewiesenermaßen funktionierende Architektur, die dann Grundlage dafür ist, was diesen hochindividuellen Kern ergänzt. Damit ist man aber weit weg von der Standardsoftware-Template-Idee und verfügt über ein Team, dass agil Standard- und Drittsoftware beherrscht: Softwareentwicklung und -integration ist in diesem Fall Kernkompetenz und für den Unternehmenserfolg unabdingbar.

Und dann gibt es den Fall, dass man sich in diesen 3 Modellen nicht wiederfindet: Sonderanforderungen müssen dann vom Tisch, Geschäftsmodelle müssen überprüft, geändert oder gestrichen werden. Das kann auch bedeuten, umfangreiche organisatorische und personelle Änderungen vorzunehmen. Ist dies auch nicht möglich, sollte man die bestehende Systemlandschaft beibehalten bis eines Tages jemand kommt, der zu Änderungen in der Lage ist.

Mangelnde Akzeptanz ist ein Alarmsignal. Sind Unternehmen nicht in der Lage, diese Signale richtig zu deuten und in die richtigen Bahnen zu kanalisieren, ist ein Mißerfolg wahrscheinlich. Weder das Unternehmen selbst, noch dessen mitwirkende Partner tun sich mit solch einer Situation einen Gefallen. Daher muss rechtzeitig und richtig gehandelt werden!

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